Im November 2019 hat Thomas Zwahlen zusammen mit seiner Frau Martina und seinen drei Kindern (6, 9 und 12 Jahre) eine kaum begangene Bergregion in Bhutan entdeckt. Hier ein Bericht über dieses einmalig schöne Trekking und am Ende eine Bildergalerie mit einigen Eindrücken.
Ich habe mittlerweile auf unzähligen Reisen über sieben Jahre im Himalaya verbracht. Gerne und auch oft besuche ich Orte, an welchen ich bereits mehrmals war. Allein in Ladakh habe ich über vier Jahre verbracht und das Trekking durchs Markha-Tal bin ich bereits über ein Dutzend Mal gegangen. Doch natürlich reizen mich vor allem auch noch unbekannte und kaum bekannte Regionen, von welchen es immer weniger gibt auf der Welt und auch im Himalaya.
Beim Stöbern in alten Geschichten aus Bhutan bin ich auf einen Bericht von Shabdrung, welcher als Gründer von Bhutan gilt, gestossen. Dieser sei über einen hohen Pass von Tibet nach Bhutan gewandert «durch eine überirdisch schöne Bergwelt». Ich kontaktiere Lhatu, unseren lokalen Partner und guten Freund in Bhutan. Er ist ein «wandelndes Lexikon» und es gibt wahrscheinlich kaum einen Bhutanesen, welcher Bhutan so gut kennt wie Lhatu.
Die Bergregion ist ihm bekannt und er hat gleich noch gute News. Seit kurzem sei es von offizieller Seite erlaubt, diese Route bis knapp an die Grenze Tibets zu gehen. Ich bin erstaunt, dass Lhatu selber noch nie dort war... das tönt doch schon mal spannend. Während Wochen und Monaten versucht er, einen lokalen Führer ausfindig zu machen, welcher bereits in dieser Region war. Es scheint aber keinen zu geben in Bhutan... das tönt gleich noch viel spannender. Und somit ist der Entschluss gefasst, dass wir diese Region unbedingt anschauen müssen.
Im November 2019 fliege ich mit meiner Familie nach Bhutan. Die Kinder haben in den regulären Herbstferien fleissig für die Schule gebüffelt und dafür den ganzen November frei erhalten. Lhatu empfängt uns am Flughafen in Paro und die ersten Tage wohnen wir bei einer lokalen Familie. Solche Familienaufenthalte sind uns die liebsten und immer auch ein spezielles Erlebnis. Zudem erlaubt uns dies einen guten Einblick ins authentische Familien- und Dorfleben. Unsere Kinder werden von der Dorfjugend in die Kunst des Bogenschiessens eingeführt.
Nach einigen Tagen der Akklimatisation fahren wir in das kleine Bergdorf Gasa, welches vor allem für seine heissen Quellen bekannt ist. In den verschiedenen kleinen Pools sitzen bhutanesische Grossfamilien und geniessen «Wellness Bhutan Style». Auch wir aalen uns im heissen Wasser. Das Wasser soll sehr gesund sein und die Einheimischen kommen von weit her, um hier ein- oder zweiwöchige Badekuren zu machen.
Auf einer holprigen Strasse fahren wir von Gasa mit einem Pickup tiefer in die Bergwelt Bhutans. Am Strassenende erwartet uns Dorje, ein lokaler Hirte, welcher uns während den nächsten Wochen mit seinen Pferden begleiten wird. Er ist der einzige unserer Gruppe, welcher den Weg bis an die Grenze zu Tibet kennt. Das Gepäck wird auf Pferde geladen und auch unsere drei Kinder erhalten je ein Reitpferd. Dies ist der Grund, warum alle drei im Himalaya so gerne auf Wanderungen mitkommen, da sie die Wanderung in der Regel reitend absolvieren dürfen.
Die ersten Tage sind wir auf einer bekannten Route unterwegs und unser erstes Ziel ist das Bergdorf Laya, welches auf einer Höhe von 3800 Metern liegt. Die Bewohner hier unterscheiden sich stark von den restlichen Bhutanesen in Aussehen, Kultur und Bräuchen. Sie sollen vor Hunderten von Jahren von Tibet in diese Region gezogen sein und hatten lange nur wenig Kontakt mit dem Rest von Bhutan. Auffällig sind die spitzen Hüte, welche die Frauen tragen sowie deren langen Haare. Traditionell haben in Bhutan nur die Frauen der Oberklasse die Haare lang getragen. Frauen aus der normalen Bevölkerung trugen kurze Haare. Mit dem Einzug der Moderne sind die Haare bei den jungen Frauen nun aber auch länger geworden.
Die Layaps (wie sich die Bewohner in Laya nennen) sind grösstenteils Yakhirten. Traditionell waren es Händler. Die Grenze zu Tibet ist zwar seit 60 Jahren offiziell zu, aber die Layaps kennen die alten Schleichwege und viele verdienen heute mit Schmuggeln von verschiedensten Gütern verhältnismässig grosse Summen. So sind auch in den letzten Jahren in Laya viele neue schöne Häuser gebaut worden.
Wir schliessen schnell Freundschaften mit einheimischen Familien und dürfen beim wichtigsten Fest in Laya, dem Auli-Fest, als Ehrengäste dabei sein. Die Dorfgemeinschaft zieht von Familie zu Familie und in jedem Haus wird getanzt und gesungen, geopfert und für ein gutes Jahr gebetet. In der grossen Dorfschule ist gerade «Childrens day»... da verwöhnen die Lehrer die Kinder mit süssem Tee und Gebäck und organisieren Spiele und Aktivitäten. Der Schulvorsteher erklärt uns, dass sich die Lehrer auf diese Weise bei den Schülern bedanken, dass sie diese unterrichten dürfen. Zu einem anderen Zeitpunkt im Jahr gibt es den «Teachers day». Dann werden sich die Schüler bei den Lehrern bedanken, dass sie von ihnen unterrichtet werden. Gegenseitiger Respekt ist ein ganz wichtiger Bestandteil der bhutanesischen Kultur.
Wir hätten noch lange in Laya bleiben können, aber unser Begleiter meint nach einigen Tagen, dass wir das schöne Wetter ausnutzen sollten und uns auf den Weiterweg machen. So verabschieden wir uns in Laya und ziehen mit unserer kleinen Karawane tiefer in die bhutanesische Bergwelt. Thinle, der 10-jährige Neffe unseres Pferdetreibers, entschliesst sich, uns zu begleiten. Unsere Kinder jubeln freundlich, haben sie sich doch in den letzten Tagen sehr angefreundet mit ihm und unser Ältester meinte bewundernd, Thinle könne nicht nur gut Bogenschiessen, sondern sogar Fussballspielen.
Die Landschaft verändert sich auf unserem Weiterweg. Die Wälder werden immer lichter und weichen einer kargen Gebirgswelt. Unser Weg führt immer leicht steigend durch ein einsames Bergtal. Links und rechts thronen die Schnee- und Eisgipfel über uns. Nur die Hauptgipfel haben einen Namen, etliche Berge sind namenlos und die meisten bis heute noch unbestiegen. Dies aus religiösen Gründen. Da im Glauben der Bhutanesen auf den Berggipfeln die Götter wohnen, ist eine Besteigung nicht erlaubt und es werden deshalb - anders als in Nepal - keine Bewilligungen für Gipfelbesteigungen ausgestellt.
Nach wenigen Tagen erreichen wir den Ort, ab welchem vor kurzem der Weiterweg für uns nicht mehr erlaubt gewesen wäre, da die tibetische Grenze nicht mehr fern ist. Unser Freund Lhatu übergibt nun die Führung dem lokalen Hirten, welcher die ganze Region kennt wie seine Westentasche, da er hier im Sommer seine Yaks weidet. Unterwegs treffen wir ab und zu auf Yakhirten, welche hier in kleinen Steinhäusern unter einfachsten Umständen leben... einige bleiben sogar im eisigkalten Winter in diesem Hochtal.
Die Gipfel werden immer spektakulärer und wir besteigen einige Aussichtspunkte, welche auf fast 5000 Metern Höhe liegen. Neben Yaks sehen wir an den steilen Abhängen auch immer wieder wilde Blauschafe. Hier oben sind wir dem Himmel nah und auch nah am Masagang. Dieser gilt als einer der heiligsten Berggipfel in Bhutan und als einer der schönsten dazu.
Nach einer Woche unterwegs erreichen wir das Talende (und gefühlt das Ende der Welt), wo wir für zwei Nächte unser Camp aufschlagen. Zusammen mit dem Yakhirten Dorje erkunden wir die Bergwelt. Er meint, dass vor uns kaum je ein Westler hier hinten gewesen sei. Wir sehen mächtige Gletscher und zwei einsame Bergseen und wandern auf der alten Route von Shabdrung Richtung tibetische Grenze. Tibet ist nur noch einen «Steinwurf» entfernt, aber einen offiziellen Grenzübergang gibt es nicht und ein Übertritt ist streng verboten. Dorje erklärt uns jedoch, wo sich die Layaps jeweils verstecken auf ihren Schmuggeltouren und wie die Grenze unbemerkt zu überqueren wäre... dies ist dann doch zu viel Abenteuer für uns.
Nach einer zweistündigen Wanderung vom Camp stehen wir auf einem fast 5000 Meter hohen Aussichtspunkt und jetzt weiss ich, was Shabdrung auf seinem Weg von Tibet nach Bhutan mit der «überirdisch schönen Bergwelt» gemeint hat. Während den letzten 20 Jahren war ich in vielen eindrücklichen Bergregionen im Himalaya, aber diese einsame Bergwelt hier gehört definitiv mit zu den schönsten. Das unvergleichlich schöne Bergpanorama werde ich wahrscheinlich mein Leben lang nicht mehr vergessen.
Nach zwei spannenden Wochen «on trek» sind wir zurück in der Zivilisation, das heisst in Gasa mit seinen vier Dorfläden. Wir geniessen noch einmal ein entspannendes Bad in den heissen Quellen von Gasa. Unsere Weiterreise bringt uns ins Tal der Schwarzhalskraniche und weiter nach Bumthang. Dies gilt als die kulturelle Wiege von Bhutan und die Region ist reich an uralten Tempeln, stattlichen Klöstern und versteckt gelegenen Einsiedeleien. Mehrheitlich wohnen wir nicht im Hotel, sondern in kleinen Dörfern bei lokalen Familien und einmal dürfen wir sogar in einem Kloster übernachten. Obwohl ich schon etliche Male in Bhutan war, ist dies eine der spannendsten Reisen und die vier Wochen vergehen wie im Flug. Ich weiss aber, dass ich schon bald wieder zurückkehren werde... habe ich doch unterwegs von einer Region gehört, welche unglaublich schön sein soll.
Aus den schönsten Wegstücken haben wir eine neue Reise «komponiert» und entstanden ist ein nicht allzu schwieriges Trekking, welches für uns eines der schönsten in ganz Bhutan ist... und bisher noch kaum begangen. Also psst, nicht weitererzählen...